Frühling

Nun also sitze ich auf dem Beifahrersitz meines Autos, und meine Aufgabe - hier und jetzt - ist mein Erleben von gerade eben in Worte zu fassen. Wie soll das gehen? Diese Einheit, dieses "in der Natur aufgehen", ein Teil davon sein und mich auch als solchen zu spüren - in eine Sprache, die nur existiert weil uns eben diese Einheit verloren gegangen ist... dennoch möchte ich es versuchen.

Noch vor 3 Tagen war es eiskalt, düster und Schnee fiel. Winter. Aber nur für kurze Zeit. Und heute? Es ist angenehm warm an diesem kühlen Februar-Dienstag. Ein pastellblauer Himmel mit einigen dunkelgrauen Wolkenstreifen, hinter denen sich die tief stehende Sonne am späten Nachmittag auch gelegentlich versteckt.

Ich betrete den Westpark - und freue mich. Ein wohltuender Duft, irgendwie erdig. Ein wenig riecht es nach Gras oder Moos - und feucht. Es ist ein Genuss - ein Fest - diese Luft zu atmen. Ich gehe, und spüre meinen Körper - jede Bewegung. 2 Mädchen kommen mir Hand in Hand entgegen. Die eine hat rote Haare und tiefe, dunkle Augen - in die ich natürlich auch für einen Moment tief blicken muß. Für diesen einen Augenblick sind wir uns erstaunlich nahe - und sie staunt, und ich auch... der Augenblick geht vorbei und wir gehen unsere Wege.

Meiner führt mich zu dieser Buddha-Statue. Dort empfängt mich ein Paar, welches gerne ein Foto hätte. Mit dem großen Meister im Hintergrund. Hehe, gerne.

Eine Weile trete ich mit ihm in Kontakt. Ich habe einen Körper, aber ich bin nicht dieser Körper. Er hat eine Statue, aber er ist nicht diese Statue - und dennoch ist das, was uns wirklich ausmacht in der physischen Form wiederzuerkennen. Das freut mich. Ich geniesse die friedvolle, liebende Energie, von der die Statue umgeben ist und spüre, wie mein eigener Körper auch nichts weiter als ein Kanal für genau diese Energie ist.

Langsam wird der Himmel am Horizont orange. Da sind ein paar dünne, langgezogene, dunkel- und hellgraue Wolken. Ein Vogel gleitet durch die Luft. Sein schwarzer Körper hebt sich deutlich vom Hintergrund ab. Zuerst vom Himmel, dann von den dürren, blattlosen Ästen der Bäume. Anmut und Freiheit.

Es ist nicht mehr ganz so hell, es wird ein wenig kühler. Ich war hier schon so oft, so unzählige Male oft - aber es ist niemals dasselbe. Keine zwei Momente sind vergleichbar. Anderes Licht, andere Düfte, andere Menschen, eine andere Temperatur. Einzigartigkeit und Vollkommenheit.

Mein Weg führt am japanischen Garten vorbei, einmal im Kreis und zu diesem Platz der aussieht wie eine Art Amphitheater, an dem auch das Sonne, Mond und Sterne Kino stattfindet. Im Weg steht mir ein Gitter, über das ich lässig hüpfen möchte. Dummerweise bleibe ich mit dem linken Fuß hängen - falle vorne über, nehme zum Glück wahr, was passiert, greife mit der anderen Hand das Gitter und bringe mich noch in der Luft wieder in eine aufrechte Position... und lande auf beiden Beinen. Ooops - das hätte ich ja jetzt nicht erwartet und es hätte ganz schön ins Auge gehen können. War aber interessant.

Von diesem runden, großen Platz hat man eine wundervolle Aussicht auf dieses komische rechteckige Gebilde aus Metall, aus dem dicke, fette Wasserstrahlen heruntersprudeln. Wie auch immer man so etwas nennen mag - vielleicht Fallbrunnen? Es steht in dem See, der teils noch zugefroren ist, teils kräuselt sich das Wasser vom Wind. Und auf diesem See sind Schwäne.

Ich lasse diese Aussicht auf mich wirken - das Plätschern des Wassers, der Himmel, die Bäume... der große Raum, der sich vor mir auftut - und beginne mit der Tierform von Tai Chi. Soweit ich sie bisher kann. In der Pferdstellung, zu Beginn jenes Teils, welcher "Menschenwelt" genannt wird, spüre ich mal wieder, wie meine Hüfte gerade überdehnt ist. Das ist etwas fies, weil ich dadurch nämlich das Becken nicht nach vorne fallen lassen kann, und dann muß ich mein ebenfalls überdehntes Kreuz fühlen - vielleicht sollte ich beim Training mal diesen physischen Körper von mir etwas mehr schonen...

Nach der Tiger-Form aus Kung Fu verlasse ich den Platz. Diesmal springe ich von Anfang an bewusst über dieses Gitter, und schalte die Bewusstheit nicht erst ein, als ich schon fast auf's Gesicht gefallen bin. So ist es bedeutend einfacher ;-)

Auf dem Weg zurück zu meinem Auto lasse ich nochmal diese unbeschreibliche Optik auf mich wirken. Das Farbenspiel am Himmel, die filigranen Äste der Bäume... das ist so unbeschreiblich und unnachahmlich schön. Ich fühle mich zutiefst ergriffen und berührt - mein Herz könnte zerspringen und ich lache und weine gleichzeitig. Welch unvergleichliches Geschenk all dies wahrnehmen und erleben zu dürfen - ich empfinde große Dankbarkeit!

Inzwischen ist es dunkel geworden. Einige Autos fahren vom Parkplatz, andere kommen. In mir spüre ich tiefen Frieden. Ich bin Glückseligkeit.


© 2000-2011, Jashan Chittesh (fka Holger Wagner) (http://www.ramtiga.com)
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Last modified: Wednesday February 07 2001
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