Dann traf ich endlich meine Seelengefährtin, und mein Prozess wurde erweitert. So lange hatte ich verzweifelt gesucht, gewartet, und niemals gefunden. Doch ich war einfach nicht bereit. Zuerst brauchte ich einen Verbündeten, der mir den Weg zu meiner Seele weisen konnte. Jemanden, der mich aufbauen und stärken konnte. Jemanden, der mich das erste Mal mit meinen dunklen Seiten konfrontieren durfte. Niemals hätte ich erwartet, daß ich tief im Inneren erstmal ein Verräter sein könnte. Jemand, der alles nur tut, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen und die anderen auszubeuten. Ein Heuchler und Blender - völlig ohne Integrität, völlig das Kind seiner Eltern und der Gesellschaft, in der er lebt.
Ich lebe in einer Welt voller Verrat, Gier, Ausbeutung und Haß. Und weil vieles davon verdeckt abläuft, habe ich mir angewöhnt so zu sein, wie alle anderen es auch sind. Es gibt einen gewissen Raum, und der ist bei mir vielleicht größer als bei vielen anderen - aber dennoch begrenzt. Und in diesem Raum gibt es viele schöne Erlebnisse, Kontakte, und auch Beziehungen. Komme ich aber an die Grenze dieses Raumes zeigt sich, was darunter liegt - und letztlich alles andere steuert und kontrolliert. Dort gibt es keine Verbundenheit, keine Dauer, keine Beziehung. Nur einen alles zersetzenden Haß. Ein Bollwerk aus Einstellungen, Vorsätzen und anderem Gerümpel, das jeden Eindringling zerschmettern soll, der diesen Vorstellungen und Idealen nicht entspricht.
Deshalb hatten wir ausgemacht uns zu treffen. In diesem Leben, mit diesen Körpern. Für mich ist die Aufgabe, immer wieder und wieder an diese Grenze zu kommen - und mein eigentliches Wesen auch in diesen dunklen Bereichen auszubreiten. Die Anziehung ist unglaublich stark, und ich bin bereit alles für diese Beziehung aufzugeben - einschließlich meinem Ego. Einschließlich diesem Bollwerk von Vorstellungen und Idealen, wie die Dinge und Menschen zu sein haben.
Und dann wird klar, daß diese Beziehung auch ein Hilfsmittel ist, ein Weg. Das Wesen, mit dem ich die tiefste und dauerhafteste Verbindung habe, ist das erste Wesen, bei dem ich jede Grenze aufgeben werde. Wir haben das lange genug geübt. Und nun hat sich ihre Seele genau den Menschen ausgesucht, der mich gleichzeitig lieben und ewig an sich binden - und vernichten kann. Einen Menschen, der äußerlich wunderschön - geradezu bezaubernd - ist, intelligent und wach, sanft und liebevoll. Und dennoch einen Menschen, der eben vielen meiner Vorstellungen und Idealen widerspricht und damit oft diesen in mir gespeicherten Haß zu spüren bekommt - bevor ich bewusst werde und das Chaos aufräume. Eine Frau, die selbst genügend Haß und Verachtung in sich trägt, um eine Person, die ihr nahe steht zu zersetzen - und die sensibel genug ist, zu erkennen was da passiert und darüber sich selbst zu entwickeln. Ein mutiges Wesen, ein gütiges Wesen. Ein Wesen, dem ich sehr dankbar bin!
Bis jetzt musste ich mich abgrenzen. Ich musste mich schützen vor all den Dingen, die in dieser Welt so offensichtlich falsch sind. Wenigstens ein wenig Individualität bewahren in dieser Welt von Gleichschaltung mit dem physischen, kühlen, leblosen und abgestumpftem. Dieser Welt von Zombies die sich gegenseitig zerfleischen und das dann "Liebe", "Karriere" und "glückliches Leben" nennen. Diese Abgrenzung war wichtig, weil mir damit mehr Kraft und Ursprünglichkeit bleiben konnte - Fähigkeiten und Talente, mit denen ich jenen Punkt erreichen konnte, an dem ich jetzt stehe. Und dies in weitgehender Unbewusstheit, einer Umnachtung der Seele, die nur durch mich beschäftigen und dabei gut dastehen auszuhalten war. Vollkommen isoliert, einsam - von der Existenz abgeschnitten und doch vollkommen damit identifiziert.
Doch langsam erwache ich - das einzig Ewige, das einzig Wahre. Und ich erkenne, daß es jetzt an der Zeit ist endgültig leer zu werden. Im Inneren. Leer zu werden bedeutet, jede Identifikation aufzugeben. Alle Kategorien von richtig oder falsch, gut und böse. Aufgeben. Loslassen. Die Gefühle und Gedanken, die Kategorien, die Fähigkeiten und Talente - all das bleibt in der Existenz, so wie all die Menschen, all die Planeten, das gesamte Universum. Aber ich vergesse, daß es meine Gefühle und Gedanken sind, meine heiligen Kategorien, meine Fähigkeiten und Talente - meine Heimat.
Und finde meine Heimat in dieser endlosen, ewigen Leere - in der sich alles spiegelt, aber nichts jemals bleibt. Ich vergesse meine Einstellungen und Bewertungen: Dies muß so sein, jenes muß so sein. Das will ich nicht, das schadet mir - wenn ich nun auch noch diesen Pfeiler aufgebe werde ich vernichtet. Übrig bleibt Frieden. Leere. Und Verbundenheit.
Denn es gibt nichts mehr, was zwischen mir und meinen Gefühlen und Gedanken steht. Nichts steht mehr zwischen mir und meinen Fähigkeiten und Talenten. Und nichts steht mehr zwischen mir und meinen Mitmenschen. Diesen Mitmenschen, die so endlos leiden und sich mit all ihrer Kraft wehren, das zu erkennen.
Diese Mitmenschen, deren Seelen einst in die physische Welt kamen, um das Leben als Mensch zu erfahren. Existieren als physisches Wesen, abgegrenzt von einer physischen Umwelt. Hier gibt es Innen und Außen, hier können wir unterscheiden: das bin ich, das bin ich nicht. Den Sex, diese unbändige Lebensenergie. Die Lust am Genuss, diesen Körper mit Freude saftig ausfüllen. Die Macht, Dinge zu bewegen in einem Umfeld, in dem Bewegung so zäh vor sich geht. Einen Willen entwickeln und planen, Schritt für Schritt erfolgreich zum Ziel. Mit den einen verbünden wir uns, um die anderen fertig zu machen. Der Krieg und die Zerstörung gehören zu dieser Reise genau so wie die Geborgenheit in den Armen eines wahrhaftig liebevollen Menschen.
Und die eigene Vernichtung - das Geboren werden und Sterben. Das geht nur hier, doch die Anziehungskraft ist groß. Und die Angst ist noch größer. Nur sehr wenige sind bereit, bewusst zu sterben - sich freiwillig der Natur zu unterwerfen und die Rückkehr in eine andere Welt bereitwillig anzunehmen. Und deshalb kommen sie wieder und wieder und verstricken sich unendlich mit dieser Welt. Junkies des größten Rollenspiel-Experiments für mutige Seelen: Planet Erde. So in ihrer Sucht verloren, daß viele leugnen, daß es überhaupt noch etwas anderes geben könnte.
Einige wollten diesen verlorenen Seelen helfen - und tappten in die gleiche Falle. Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Es ist unmöglich, das vorauszusehen. Man vergisst sich einfach vollständig und die Fetzen von Erinnerung, die immer wieder an einem vorbeiziehen werden als Träumereien abgewertet. Nichts bleibt von dem, was man ursprünglich war. Nichts. Außer Schmerz, und Sehnsucht - wenn man langsam anfängt zu erkennen.
Und bei einigen kommt dieser tiefste aller Schmerzen mit dem Erkennen, daß sie sich entschieden hatten zu bleiben. Sie wussten, daß sie sich der Verdammung hingeben, wenn sie gehen. Sie wussten es, weil sie es bei den anderen gesehen hatten. Und weil sie niemals die Verbindung zu diesen anderen aufgegeben oder verloren haben, und diese Verbindung auch niemals aufgeben und verlieren könnten.
In der vollkommenen Hoffnungslosigkeit niemals aufgeben. Sich selbst vergessen, sich selbst verlieren - und sich wiederfinden. Immer wieder und wieder. Kein Ende. So lange, bis auch das letzte Wesen aus seinen Qualen befreit ist. Oft genug muß man es bei sich selbst und anderen mit ansehen - wie man verloren geht. Auf unbestimmte Zeit. Doch irgendeine reife, weise Seele findet Dich und hilft Dir, Dich wieder zu befreien. Du warst gekommen, um andere zu befreien - alle - und dann brauchst Du die Aufmerksamkeit und Hingabe von jemandem, der Dich selbst erstmal wieder aufweckt. Und das passiert wieder und wieder und wieder und wieder. Aber mit jedem Mal entwickelst Du mehr Mitgefühl. Verstehst, womit Du es eigentlich zu tun hast. Verstehst, wie groß dieses Leid ist. Wie unendlich groß und niederschmetternd.
Und dann bist Du wieder bereit, leer zu werden. Alles, was Dich von dem trennt, was ist, wird entfernt. Das ganze Gerümpel, die ganzen Vorsätze - die ganze Person fällt auseinander, löst sich auf. Übrig bleibt der, der sich entschieden hat zu bleiben und zu helfen. Zu dienen, ohne etwas davon zu haben. Denn in dieser Leere gibt es nichts zu haben. Zu dienen, ohne etwas zu erwarten. Denn es gibt keine Erwartung mehr in dieser Leere.
Du akzeptierst alles. Den Schrecken dieser Welt, den Mißbrauch und Verrat. Es ist, wie es ist, Du bist leer - es gibt keine Gegenwehr. Und in all dem Schönen, wie in all dem Schrecklichen, erkennst Du immer nur Dich selbst. Denn Du bist leer, und so erfüllt Dich alles. Ganz. In vollkommener Einheit.
© 2000-2011, Jashan Chittesh (fka Holger Wagner) (http://www.ramtiga.com)
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Thursday January 22 2004
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