Die Geschichte vom Mann, der auf den Mond wollte

Hast du schon die Geschichte gehört, vom Mann der auf den Mond wollte? Er war ein kleiner Angestellter in einer Firma, die Bausätze für Stereoanlagen produzierte. Er war im Prinzip zufrieden mit dem Job, hatte eine Sekretärin, die ihn von Zeit zu Zeit auch nach Feierabend verwöhnt hat. Seine Frau hatte ihn wegen einem anderen sitzen lassen und auch gleich die Tochter mitgenommen. Außerdem nimmt sie jeden Monat Unterhalt.

Er war nicht alt, sah sogar ganz gut aus, aber sie traf diesen anderen, der schien etwas cooler. Vielleicht fand sie es geil, daß der sie eigentlich wie ein Anhängsel behandelte, das man halt so bei sich hat. Eine Art Schmuck. Aber sie war nicht zurückzugewinnen, angeblich liebt sie den neuen.

Unser kleiner Mann hatte ein Hobby. Es war etwas, daß er schon seit Jahren praktizierte. Dieses Hobby war ein hervorragender Ausgleich zu seiner Arbeit, mit der Sekretärin.

Abends, wenn die meisten Leute schon schliefen oder an ihren Frauen rumspielten, andere an sich selber; spät des Nachts, wenn es dunkel war und die Sterne schienen - bei klarem Himmel zumindest - da hat er seinen Fernseher, den er Weltsicht nannte, eingeschaltet und von einem Kanal zum anderen gezappt, bis ihm ganz wirr im Kopf wurde. Ihr müsst wissen, daß der nette kleine Mann in dem großen modernen Land jenseits des Atlantiks lebte - dort hatte er über 100 Kanäle zur Auswahl. Manchmal traf er eine Sendung, die ihn fesselte, dann legte er die Fernbedienung beiseite und freute sich darüber, daß er endlich beide Hände frei hatte, um mit der linken das Bier zum Mund zu führen und sich diesen mit Chips aus der rechten vollzustopfen. Das war echt aufregend.

Dieser Mann dachte auch nach, manchmal. Jeder denkt, denkst Du vielleicht, aber ein paar Freunde haben mir erzählt, daß das gar nicht stimmt. Es soll ja Leute geben, die einfach nur Statisten des Lebens sind, Randfiguren - unwichtig. Und die denken auch gar nicht wirklich, sondern funktionieren nur.

Der Mann aber, von dem ich gerade rede, war anders. Er dachte oft nach. Zum Beispiel darüber, warum die Welt so ungerecht sein könnte, daß ihn seine Frau einfach verlässt. Oder auch darüber, was in seiner Sekretärin vor sich geht, wenn er sie auf dem Schreibtisch... Na, ihr wisst schon. Auch, was sie empfindet, wenn er auf dem Stuhl sitzt und sie sich vor ihm niederkniet und seinen Schwanz so lange mit ihrer Zunge massiert, bis er ihr eine dicke Ladung Sperma entweder direkt in den Mund - oder auch über das ganze Gesicht spritzt, wo es dann langsam runterläuft, bis sie es demütig wegwischt.

In letzter Zeit hat sich jedoch ein Gedanke immer wieder ganz in den Vordergrund gestellt. Eine Idee, oder vielleicht auch eine Vision. Er wollte unbedingt einmal in seinem Leben auf den Mond fliegen. Wenn er all sein Geld spart, und immer Lotto spielt, würde er sich vielleicht eines Tages ein Raumschiff leisten können, mit dem er auf den Mond fliegen und die Erde mit all ihrem Leid aus sicherer Entfernung betrachten würde.

Es ist ja auch so, daß Raumschiffe gar nicht mehr sooo teuer sind. Es ist schon Luxus, aber nicht unbezahlbar. Der kleine Angestellte war aber leider sozial auf einer Stufe, in der Luxus dann doch wieder unbezahlbar erscheint.

Somit war es nur eine Vision, ein Traum, der immer in unerreichbarer Ferne bleiben würde.

Der Mann wusste jedoch von einer Möglichkeit, wie er sein Ziel vielleicht doch erreichen könnte. Er würde physisch auf der Erde bleiben, sein Geist aber könnte den Mond erreichen, fern den Problemen der Welt sein und vielleicht sogar mit dem ganzen Universum verschmelzen.

Er war unsicher - schließlich hatte er von Menschen gehört, die, während sie mental das Universum bereisten, ohne es zu wissen aus dem Fenster sprangen. Aber solche Gerüchte kannte er ja aus der Geschichte, als man noch glaubte, Albert Hoffman hätte LSD wirklich selber gefunden. Dabei waren doch erst vor kurzem ein paar Telepathen in die Vergangenheit gereist, um es ihm zu zeigen. Das sollte ein Versuch sein, um zu zeigen, daß die Menschen im 20. Jhd. doch tatsächlich mehr als 100 Jahre brauchen, um zu kapieren, daß LSD keine Droge, sondern ein Schlüssel ist. Einer von vielen, nicht mal ein besonderer...

Einigen war das schon viel früher klar, aber die waren meist schon zu kaputt als sie endlich, nach langem Suchen herausfanden wo eigentlich das Schloß zu diesem Schlüssel liegt und vor allem was ein Öffnen des Schlosses bewirken könnte.

Darauf folgte eine Periode, die der Mann nie ganz verstanden hatte. Vor allem war er natürlich sehr frustriert, daß er diese Zeit verpasst hatte. Warum zum Teufel musste diese Zeit auch jemals enden?

Damals hatte man Arbeit einfach abgeschafft. Das war nicht besonders schwer bei 80% Arbeitslosenquote auf der Welt. Die meisten Produkte waren vollautomatisiert herstellbar, und dort, wo menschlicher Einsatz nötig war, gab es immer Leute, die so fasziniert davon waren, daß sie es in ihrer Freizeit erledigten.

Verdammt ärgerlich, daß eines Tages eine Gruppe altmodischer, dogmatischer Religionsfanatiker genügend Anhänger gesammelt hatte, und ausreichend organisiert war um ihre Auffassung "Gott-will-nicht, daß-die-Menschen-ihr-Leben-geniessen, und-Zeit-haben, in-den-tiefen-ihrer-Seele-zu-forschen." sehr effektvoll in Wirklichkeit umzuwandeln.

Es wurde einfach mal wieder ein Krieg angezettelt, die Maschinen zerstört und eine neue Wertordnung geschaffen. Es ist deprimierend, daß es immer Menschen gibt, die mit dem was sie haben nicht zufrieden sind, und anderen, die mit ihrem zufrieden sind - nicht weil sie mehr haben, sondern weil sie einfach das was sie haben besser zu schätzen wissen - eben genau das wegnehmen wollen.

Deshalb will ein kleiner Mann der Erde fern sein, und er weiß wie er das schaffen kann. Man hat, seit Bewusstseinsforschung betrieben wird, enorme Fortschritte in diesem Fachgebiet gemacht. Es gibt eben Dinge, auf die wäre vorgestern niemand gekommen, selbst wenn er auf dem absoluten Peak einer Reise eingeschlafen wäre und dabei vom Universum mit all der darin gespeicherten Information geträumt hätte.

Es gibt Unvorstellbares, es gibt unvorstellbar Unvorstellbares und unvorstellbar unvorstellbar Unvorstellbares. Diese neue Definition der 3. Dimension hat erheblich mehr Bedeutung als das Verständnis der Relativitätstheorie, die ja nicht mal unvorstellbar ist.

Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er hat es getan. Es war tatsächlich unvorstellbar unverstellbar unvorstellbar! Er konnte auf dem Mond umherschweben, die Erde aus der Ferne betrachten und war begeistert von der unendlichen Freiheit. Als nach einer Zeit, die ihm wie Jahre erschien, bei der es sich aber wahrscheinlich nur um ein Wochen-Ende handelte, das Universum begann im Gleichtakt mit seinem Herzen zu pulsieren, wurde er langsam müde und schlief dann auch sehr bald ein. Er hatte große Träume, von Liebe, von einer Familie mit seiner Sekretärin, von einem neuen Job und Zeit für Urlaub. In seinem Herzen schien die Sonne, er empfand das Paradies aus dem die Kirche uns vertrieben hatte und den Stolz als Mensch der am weitesten entwickelten Lebensform aller Zeiten anzugehören.

Am nächsten Morgen wachte er auf, und etwas war anders. Seitdem, seit diesem Morgen ist das Bewusstsein des kleinen Mannes, der so sehnlich auf den Mond wollte an den Mars geklebt wie mit Sekundenkleber. Er ist physisch anwesend, seine Augen sehen, er hört und tastet, sein Gehirn verarbeitet Informationen und reagiert auf die Umwelt, auf Reize und Einflüsse, mit Trauer oder Freude - er funktioniert.

Der Körper weiss aber nicht, daß er lebt, er kann sich nicht im Geist erfassen - er ist ohne Bewusstsein und denkt nicht mehr nach.

Die Seele, das Bewusstsein, der Mensch wie jeder sich selbst empfindet, ist in einem großen Gesteinsbrocken gefangen. Auf einem fernen Planeten. Es fehlt die Erinnerung, der gewohnte Körper der uns mit Eindrücken verwöhnt, aber er ist bewusst. Er empfindet seine Situation.

Als der Körper des Mannes aufhört zu funktionieren, er biologisch abstirbt, ist seine Seele für den Bruchteil einer Sekunde wieder mit der Erinnerung verknüpft. Die Erinnerung an einen Lebensabschnitt, der ihm entgangen ist, von dem er geträumt hatte, der jetzt aber vorbei ist. In diesem einen Moment schreit er. Es ist der Schrei, den er seit 16 Jahren empfindet, aber mangels eines Körpers nie ausdrücken konnte, und dessen Schmerz durch die Erkenntnis noch vertausendfacht wird. Dieser Schrei - der Verlust eines halben Lebens - dauert nur einen kurzen Moment.

Dann folgt Ruhe.

Es ist zu Ende.


© 2000-2011, Jashan Chittesh (fka Holger Wagner) (http://www.ramtiga.com)
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Last modified: Monday September 18 2000
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